Der Spitalhof Nürnberg und seine bewegte Geschichte

wir haben hier einige Fakten aus der Geschichte des Spitalhofes Nürnberg zusammengetragen. Diese Sammlung ist sicherlich nur ein kleiner Ausschnitt aus dem wechselvollen und bewegten Leben dieses Anwesens, bildet jedoch immerhin einige sehr interessante Bilder aus der Geschichte des Spitalhofes Nürnberg.

Teil 1 – Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Hermann Rusam.

spitalhof nuernberg 1581

Die Darstellung des Spitalhofes auf dem 1581 gefertigten Rundprospekt der Stadt Nürnberg von Hans Gansöder gehört zu den ältesten Ansichten dieses Hofes. Wie alle Ortschaften vor den Mauern der Reichsstadt, war seinerzeit auch der Spitalhof von einem Zaun umgeben, der u.a. Mensch und Vieh vor dem Ungeziefer, gemeint waren damit die Wölfe, schützen sollte (Stadtbibliothek Nürnberg).

Schon bald nach der Gründung Nürnbergs um 1040 brauchte die rasch aufstrebende Siedlung ein größeres wirtschaftliches Hinterland. In der Folgezeit entstand auf gerodetem Reichswaldboden eine größere Zahl von Höfen, die Nürnberg mit landwirtschaftlichen Produkten zu versorgen hatten. Einer dieser allerdings erst relativ spät angelegten Höfe war der Spitalhof auf der Steinplatte, im Osten Nürnbergs. Ihm wollen wir uns im folgenden näher zuwenden.

spitalhof nuernberg - 1809

Auf dem Kupferstich von J.C. Claußner aus dem Jahr 1802 liegt der Spitalhof noch inmitten von Feldern und Wiesen (Privatsammlung Prof. Rusam).

Die erste urkundliche Erwähnung erfolgte 1361. Damals übereignete der Ritter Hermann von Breitenstein aus Sorge um sein Seelenheil dem 1339 von Konrad Groß gestifteten Heilig-Geist-Spital seine Äcker am Weg nach Heroldsberg da „ein hof nu gepauen ist, den hof man nu heizzet des Kyslinges hof“ (Kislingshof). Der Formulierung ist zu entnehmen, dass der Hof erst wenige Jahre zuvor entstanden war. Der Hof wurde vom Spitalamt verwaltet und von einem Hofmeisterpaar mit ihren Tagelöhnern geführt.

Der Spitalhof als Erbzinslehen

Teil 2 – Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Hermann Rusam.

Im Ersten Markgrafenkrieg 1449 ließ der Markgraf Albrecht Achilles den Spittelhoff einäschern. Im Zweiten Markgrafenkrieg 1552/53 wurde der Spitlhof abermals mit hauß und stadl verprennt. Ab dem Jahr 1565 vergab das Heilig-Geist-Spital den Spitalhof als Erbzinslehen an Bauern weiter. Diese mussten einen festen Teil  ihrer Erträge an das Spitalamt abliefern, die dann unmittelbar den alten und kranken Insassen zugute kamen. Der Hof war mit 110 Morgen Felder und 17,5 Tagwerk Wiesen (zusammen rund 60 ha) das größte Gut weit und breit.

Im Spital wurde über die Erträge Buch geführt, so daß wir über die Anbauprodukte gut bescheid wissen. Angebaut wurden gängige Getreidesorten wie Roggen, Gerste, Hirse, Hafer und Buchweizen, ferner Lauch, Spinat, Zwiebeln, Rüben, Kichererbsen, Gurken und Melonen. Später kamen noch Knoblauch, Kräuter, Meerrettich hinzu.

Eine bedeutsame Rolle spielte der Anbau von Kraut auf dem Hof. 1511 wurden 22 Eimer Kraut geschnitten, 1528 sogar die unglaubliche Menge von 418 Eimern, wobei nach dem Nürnberger Stadtlexikon ein Nürnberger Eimer etwa 73,7 Liter entspricht.

Der Spitelbauer vom Spitalhof und der Mist- oder Schefbauer vom Schafhof hatten beide das Recht, den Mist auf den Straßen und Plätzen Nürnbergs abzuräumen und für ihre Wirtschaft zu verwenden. 1577 kam es zwischen beiden zum Streit. Als am St. Endrestag der Spitelbauer auf dem Laufer Platz gerade bei der Arbeit war, wurde er vom Schefbauern mit der Mistgabel mit solcher Wucht niedergeschlagen, dass er verstarb.

Aus dem Anfang des 1 7. Jahrhunderts wird berichtet, dass es auf dem Spitalhof eine hölzerne Badewanne mit zwei Zubern gab. Es war damals üblich, dass der Besitzer und das Gesinde jede Woche ein Bad nahmen. Schlimm waren die Zeiten des Dreißigjährigen Krieges. 1621 beklagte sich der Spitelbauer beim Spital, die Dienstboten hätten ihn bestohlen und verraten und leisten zu jetziger Zeit weder Treue noch Gehorsam. […]

Der Spitalhof und die Familie Walbinger

Teil 3 – Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Hermann Rusam.

1700 kam auf dem Hof ein typisches ländliches Nebengewerbe hinzu: Der Bauer Hans Walbinger erhielt das Recht, in einem Nebenhäuschen Schnaps zu brennen. Die Familie Walbinger hatte für den Spitalhof große Bedeutung, denn ab etwa 1670 bis in den Beginn des 19. Jahrhunderts wurde der Hof nur noch in dieser Familie vererbt. Im 1 7. und 18. Jahrhundert erfolgte die Teilung des Hofes in drei Höfe, die von unterschiedlichen Pächtern bewirtschaftet wurden.

Das markgräfliche Oberamt Baiersdorf bestritt die von der Reichsstadt beanspruchte hohe Gerichtsbarkeit. So war z.B. 1707 ein wegen Unzucht straffällig gewordener Branntweinbrenner vom Spitalhof von markgräflichem Militär aus Baiersdorf abgeführt worden. Die Stadt reagierte nur mit einem papiernen Protest. 1796 wurde der Spitalhof preußische, 1806 bayerisch. 1848 löste man die Grundherrschaft ab, d.h. die Bauern wurden nun freie Eigentümer ihrer Höfe. Rechtlich gehörte der Spitalhof seit 1808 zur Gemeinde Erlenstegen und wurde mit dieser 1899 nach Nürnberg eingemeindet. 1824 umfasste der Spitalhof drei Anwesen und sechs Häuser, in denen 25 Personen lebten.
Die drei aus dem Urhof hervorgegangenen Höfe sind heute noch zu erkennen:

  • Spitalhof 1 besitzt einen aus dem 18. Jahrhundert stammenden schönen Fachwerkgiebel mit für Nürnberg fast einzigartigen gekrümmten Bögen.
  • Das Anwesen Spitalhof 2 brannte 1989 ab und wich einem angepassten Neubau.
  • Das Doppelbauernhaus Spitalhof 3 hatte Johann Georg Kalb von Erlenstegen gekauft. Die Familie Kalb hielt über 100 Jahre die bäuerliche Tradition aufrecht.

Die letzte Bäuerin des Spitalhofes, Margarete Kalb, starb 1997. Ihr Sohn Hans Kalb, der seit seiner Kindheit in der Landwirtschaft mitgeholfen hatte, ergriff jedoch nicht den aussichtslosen Beruf des Bauern, sondern wurde städtischer Beamter. Wegen des sinkenden Grundwasserspiegels verschwand seit den 1950er Jahren der kleine Hofweiher im Osten, der zu den Quellen gehörte, die den Bärenbrunnen am Platnersberg speisten, und der wohl auch eine wichtige Rolle bei der ersten Ansiedlung des Hofes gespielt haben dürfte. Der den drei Anwesen einst gemeinsam gehörende Backofen steht noch. Daneben liegt der inzwischen wurmstichig gewordene Backtrog. Hier legten einst die Eltern, wenn sie mittags auf dem Feld arbeiteten, für ihren Sohn Hans eine Brotzeit — meist Schmalzbrot und Malzkaffee in einer Bügelbierflasche — nieder, damit dieser ein Essen hatte, wenn er von der Schule kam.

Auch der auf der Grundstücksgrenze der Anwesen Spitalhof 1 und 2 befindliche Schacht des alten Hofbrunnens ist erhalten geblieben. Es ist beabsichtigt, den Brunnen nach altem Vorbild mit Sandsteinumfassung und Dächlein wieder herzustellen.

1967 wurde das letzte Pferd weggegeben. Damals gab es noch vier Kühe auf dem Hof, 1977 vielleicht noch zwei oder drei. Bald darauf kam das endgültige Ende der Viehwirtschaft. Wenige Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der alte Hof von dichter Wohnbebauung umschlossen und wirkt heute wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten.

Spitalhof Nürnberg von Nordost

Der Blick ist von Nordosten her auf die drei zum Spitalhof gehörenden Höfe gerichtet. Das hübsche Fachwerkgebäude rechts (Spitalhof 1) stammt aus dem 18. Jahrhundert. Der Westgiebel des Hauses ist dagegen aus Sandstein erbaut. Das weißgetünchte Haus links daneben war einst der Viertelhof Spitalhof 2. 1989 brannte das alte Gebäude ab und wurde inzwischen durch einen den alten Bauformen angepassten Neubau ersetzt. Der Halbhof links im Bild (Spitalhof 3a und 3b) gehört seit 1872 der Familie Kalb. Im linken Gebäudeteil befanden sich die Stallungen. Östlich des Bauernhauses lag früher der Hofweiher. Da hier eine natürliche Wasserstelle war, hat man wohl um die Mitte des 14. Jahrhunderts an dieser Stelle den ursprünglichen Hof angelegt (Aufnahme vom 05.04.2003. Bildwiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Nikolaus Rießner).

Fotografien

Teil 4 – Mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr. Hermann Rusam.

Graswagen
Das in den 1930er Jahren aufgenommene Bild zeigt den sogenannten Graswagen mit dem vorgespannten Gaul. Links ist der Altsitzer Heinrich Kalb zu sehen, rechts daneben sein Sohn Friedrich Kalb, der letzte Bauer des Spitalhofes (Bildwiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Hans Kalb).
Johann-Margarete-Kalb
Das letzte Bauernehepaar auf dem Spitalhof: Friedrich Kalb (geb. 1898) starb bereits 1955. Als seine Ehefrau Margarete Kalb (geb. 1903) im Jahr 1997 ebenfalls starb, fand nicht nur eine etwa 650 Jahre lange bäuerliche Tradition auf dem Spitalhof ihr unwiderrufliches Ende, sondern auch die landwirtschaftliche Tätigkeit im gesamten ehemaligen Bezirk der Landgemeinde Erlenstegen (Bildwiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Hans Kalb).
Hans Kalb
Hans Kalb, der letzte Namensträger Kalb auf dem Hof, hat nicht den aussichtslosen Beruf des Bauern ergriffen, sondern wurde städtischer Beamter. Aus der Remise hat er den alten Marktwagen seines Großvaters Heinrich Kalb herausgezogen. Mit diesem wurden einst Milch, Eier, Gemüse usw. zum Verkauf auf den Hauptmarkt geschafft (Aufnahme vom Verfasser 14.05.2003).

Als die Ami 1945 auf den Spitalhof kamen.

Aus den Kindheitserinnerungen von Herrn Hans Kalb, Spitalhof 3
Von Prof. Dr. Hermann Rusam

Am 16. April 1945 hatten um die Mittagszeit Panzerspitzen des 179. Infanterie-Regiments der 45. US-Infanteriedivision beim Kalbsgarten in Erlenstegen den Ortsrand von Nürnberg erreicht. Unmittelbar darauf kam es zu einem schrecklichen Vorfall: Die 13jährige Margarete Kalb vom Spitalhof wurde vor der Gastwirtschaft Zum goldenen Stern in Erlenstegen von einem amerikanischen Soldaten angeschossen und blieb schwer verletzt auf der Straße liegen. Am nächsten Tag stießen die Amerikaner in Richtung auf die Innenstadt weiter vor. Dabei besetzten sie auch den Spitalhof.

Zum Goldenen Stern
Vor der Tür der Gastwirtschaft Zum goldenen Stern (Erlenstegenstraße 95) lag Reta Kalb, die von einem Gewehrschuß eines amerikanischen Soldaten in den Rücken getroffen worden war, etwa eine Stunde lang ohne jede ärztliche Hilfe (Aufnahme vom Verfasser, 22.10.1970).
Einschussloch in der Wellblechgarage
Einschussloch in der Wellblechgarage

Die amerikanischen Soldaten kamen wohl durch das westliche Hoftor in den Spitalhof hereingefahren. Überall war weithin sichtbar weiße Beflaggung ausgehängt. Dennoch eröffneten sie sogleich das Feuer auf eine auf der gegenüberliegenden Hofseite stehende Wellblechgarage. Sie wollten so sichergehen, daß sich dort keine gegnerischen Kräfte verborgen hielten. Die Einschussstellen sind noch heute zu sehen.

Später fuhr ein amerikanischer Panzer von Norden her mitten in die große Scheune an der Gervinusstraße. Wahrscheinlich hat der Panzer mit einem ersten Schuß das südliche Scheunentor zerschmettert. Einige weitere Schüsse feuerte er dann auf deutsche Abwehrstellungen am Schmausenbuck ab (laut eines freundlichen Hinweises von Herrn Friedrich Braun, einem der besten Kenner der Kriegsereignisse beim Endkampf um Nürnberg). Noch Jahre später lagen die Kartuschen in dem zum Anwesen gehörenden Hofweiher. Eines Tages haben Buntmetallsammlern sie dann mitgenommen.

Pnazer im Spitalhof
Bei der Besetzung des Spitalhofs durch die amerikanischen Truppen fuhr ein Panzer (wahrscheinlich war es ein Sherman-Panzer, wie ihn das Bild zeigt) in die Scheune an der Gervinusstraße. Er zerschoß zunächst das südliche Scheunentor und feuerte dann auf deutsche Abwehrstellungen am Schmausenbuck (Bildwiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Herrn Friedrich Braun, entnommen aus seinem Buch: Der 2. Weltkrieg in den nordöstlichen Vororten von Nürnberg, Nürnberg 1999, S. 327).

Wo sich zur Zeit zwischen Spitalhof und Ewaldstraße eine freie Fläche ausdehnt, stand früher eine große Scheune. Es gab dort auch mehrere sandsteingewölbte Keller, die wegen des hohen Grundwasserstandes nur halb in den Boden eingetieft waren. Da die Deutschen glaubten, die Amerikaner hätten sich bereits im Spitalhof festgesetzt, schoß die deutsche Wehrmacht vom Bereich Theresienkrankenhaus (Mommsenstraße) aus diese Scheune in Brand.

Als Herr Schumann, der frühere Eigentümer der Gastwirtschaft Spitalhof, die Scheune brennen sah, wollte er herbeieilen, um beim Löschen mitzuhelfen. In dem Augenblick aber, als er die schmale Tür zwischen Kühlhaus (Schlachthaus) und Gaststättengebäude queren wollte, wurde vom Platnersberg aus ein Schuss abgegeben, der durch die geschlossene Türe drang und Herrn Schumann tödlich traf. Noch in späteren Jahren konnte man den Durchschuss an der Türe sehen. Einige Leute, die sich im Keller des Anwesens Gervinusstraße 3 befanden, wollten ebenfalls zum Löschen kommen. Sie wurden aber von verwundeten Amerikanern mit dem Hinweis davon abgehalten, es werde draußen noch geschossen. Die Grundmauerreste der Scheune und die alten Keller wurden nach Verkauf des Grundstücks an Herrn Dietmar (Bilderfürst aus der Breiten Gasse in Nürnberg) im Sommer 2002 abgebrochen.

Als schließlich die Kampfhandlungen im Umkreis des Spitalhofs beendet waren, durften die etwa 10 bis 12 Leute aus der nächsten Nachbarschaft, die sich in den provisorisch abgestützten Luftschutzraum des Anwesens Gervinusstraße 3 geflüchtet hatten, wieder in ihre Häuser zurückkehren. Die Familie Kalb musste sich jedoch zunächst mit dem ehemaligen Schlafzimmer neben dem Pferde- und Kuhstall begnügen; denn im Wohnzimmer hatten die Amerikaner vorübergehend eine Art Befehlszentrale eingerichtet. Als die Soldaten dann nach ein oder zwei Tagen stadteinwärts weiterzogen, blieben überall Fernmeldekabel liegen. Später leisteten sie zum Zusammenschnüren von Reisigbündeln oder zum Spannen der Drähte zwischen den Holzstäben gute Dienste.

Im Wohnzimmer stand damals ein großer Holztisch, in dessen Schublade ein alter Raiffeisenkalender lag. Nach dem Abzug der Amerikaner entdeckte man auf einer für Notizen gedachten Seite die von einem GI im Zorn hingeschmierten Worte: Nuts to Hitler and his gang. Die derb-ordinären Worte lassen sich etwa übersetzen mit: Scheiß auf Hitler und seine Bande.

Während der Besetzung des Spitalhofs hatte einer der amerikanischen Soldaten eine Handgranate vor das Bauernhaus Spitalhof 3 geworfen, ohne daß dies zunächst von den Hausbewohner bemerkt worden wäre. Sie zündete aber zum Glück nicht. Ein älterer Nachbar fand sie schließlich und schleuderte sie in den damals noch Wasser führenden Weiher. Jahre später entdeckte der inzwischen etwa acht Jahren alt gewordene Sohn Hans Kalb dieses eigenartige Objekt und hielt es für die Kopfschraube einer Maschine. Er nahm den Gegenstand in die Hand und bog einen an der Seite befindlichen Blechstreifen hin und her. Da bemerkte er einen rundlichen Abzugsring. Schlagartig wurde ihm bewusst, dass er eine Handgranate in der Hand hielt. Schnell schleuderte er sie weit von sich weg. Der Vater Fritz Kalb ließ die Handgranate dann durch einen Sprengmeister der Polizei abholen.

Eine weitere Handgranate hatten die Amerikaner in der Dreschmaschine der Bauernfamilie Kalb befestigt. In übler Absicht gingen die Soldaten wohl davon aus, die Granate würde explodieren, sobald man die Dreschmaschine in Betrieb setzte. Es war ein großes Glück, dass Fritz Kalb sich zur Gewohnheit gemacht hatte, vor dem Betätigen jede Maschine erst mit der Hand auf ihre Funktionsfähigkeit hin zu überprüfen. So geschah es auch, als nach der Ernte im Herbst 1945 die Maschine zum Dreschen benötigt wurde. Herr Kalb spürte einen Widerstand und entdeckte auf diese Weise die Handgranate. Wahrscheinlich wurde auch dieser Sprengkörper vom Sprengmeister abgeholt.

Wie üblich durchsuchten die Amerikaner beim Einmarsch das ganze Haus nach Hakenkreuzfahnen, Wertsachen, Waffen usw. Alle Schränke brachen sie rücksichtslos auf. Dabei entdeckten sie auch den alten Militärsäbel des Vaters aus dem Ersten Weltkrieg. Wütend rammten sie diesen in die Haustüre. Um nicht weitere Aggressionen hervorzurufen, zog Fritz Kalb heimlich den Säbel heraus und warf ihn in den Hausbrunnen. Bereits vorher hatte er eine ebenfalls aus dem Ersten Weltkrieg stammende Mauser-08-Pistole in den Brunnen geworfen.

Erlenstegenstraße 118
Die Aufnahme von 1911 zeigt das Anwesen Erlenstegenstraße 118 im oberen Dorf, rechts neben dem noch heute erhaltenen Einfahrtstor. Hier wohnte der Fuhrwerker-Kalb, dem Reta die Mitteilung überbringen sollte, daß ihr Vater wegen einer plötzlichen Dienstverpflichtung nicht mehr zu der versprochenen Hausschlachtung kommen könne (Stadtarchiv Nürnberg, A 59/I).

Um ihre Verpflegung durch Frischfleisch aufzubessern, holten die amerikanischen Soldaten eine schwarzbunte Kuh aus dem Stall und schlachteten sie. Bald darauf wollten sie eine zweite Kuh holen. Fritz Kalb hatte sich aber zum Glück vorher bei der amerikanischen Kommandantur einen Bescheid geben lassen, der das Requirieren verbot. Hans Kalb, der damals erst vier Jahre alt war, kann sich noch gut erinnern, wie die Amerikaner im damals üblichen Williams-Jeep in den Hof fuhren, dann aber auf Grund des „papers“ unverrichteter Dinge abziehen mussten.

Während des Krieges hatten feindliche Flugzeuge zusätzliche Benzintanks, die sie bei den Angriffen mit sich führten, nach der Entleerung abgeworfen. Einer dieser Zusatztanks landete auf dem Gelände des Spitalhofs. Einem älterer Vetter von Hans Kalb war es gelungen, mit Hammer und Meißel oben eine rechteckige Öffnung in den Benzintank zu stanzen. Die Kinder konnten nun den Tank als eine Art Kahn benutzen, mit dem sie auf dem Hofweiher herumpaddelten. Später bauten sie – freilich ohne großen Erfolg – den Tank zu einem Fahrzeug mit Achsen und Rädern für das Seifenkistenrennen um. Schließlich wurde der ehemalige Ersatztank von Metallsammlern mitgenommen, und so verschwanden allmählich die meisten sichtbaren Erinnerungen an die Schrecken des Zweiten Weltkrieges.

Kartenskizze Spitalhof
Kartenskizze des Spitalhofs mit den drei Bauernhöfen Spitalhof 1, 2, 3 a/b und den weiteren im Text genannten Objekten.